Erinnerungskultur

Veranstaltungen zu Erinnergskultur - Pressemitteilung

Coburgs Geschichte ist reich an Glanz und Glorie: Auf Victoria und Albert wurde und wird viel Wert gelegt in der Vestestadt. Doch greift diese Sichtweise nicht zu kurz? „Wir erben nicht nur die glanzvolle Seite der Geschichte – wir erben auch die andere“, so fasste Gaby Schuller vom Arbeitskreis Lebendige Erinnerungskultur in Coburg die Situation treffend zusammen. Die andere Seite des Erinnerns betrifft in Coburg die erst in den letzten Jahren langsam begonnene Aufarbeitung der NS-Zeit und dabei vor allem die Aufarbeitung der Schicksale der jüdischen Mitbürger*innen während der langen Zeit der Herrschaft der NSDAP. Anlässlich des Besuchs von MdL Thomas Gehring, zweiter Vizepräsident des bayrischen Landtags, fanden am 10.1. zwei Veranstaltungen statt, die sich auf die Suche nach jüdischem Leben in Coburg machten und die Frage nach einer angemessenen Erinnerungskultur in das Zentrum der Debatte stellten.

Unter Dr. Hubertus Habels fachkundiger Führung wurden zentrale Orte jüdischen Lebens und Leidens besucht. Zum Beispiel berichtete der Kulturwissenschaftler von der ehemaligen Prügelstube, in der jüdische Mitbürger*innen brutal misshandelt wurden. Auch das Schicksal der Familie Friedmann, die ehemals das heutige Hotel Victoria besaßen, dann aber in die Zahlungsunfähigkeit getrieben wurden und das Haus zu einem Spottpreis verkaufen mussten und emigrierten, kam zur Sprache. Auffällig war, dass im Stadtbild die Orte der Erinnerung an die Gräueltaten der NSDAP wenig prominent herausgestellt sind, womit sich die Frage nach einem geeigneten Umgang mit der Stadtgeschichte während des 2. Weltkriegs geradezu aufdrängte.

Dieser Frage widmete sich am gleichen Abend eine Gesprächsrunde, ausgerichtet von MdB Johannes Wagner im Wahlkreisbüro, das mit seiner Lage in der Judengasse der passende Ort für diese Veranstaltung war. Zu Gast waren neben Dr. Habel und Thomas Gehring Franziska Bartl und Gaby Schuller vom Arbeitskreis Lebendige Erinnerungskultur in Coburg und Wolfgang Braunschmidt. Angesichts der mittlerweile über 80 Jahre zurückliegenden Verbrechen an den jüdischen Mitbürger*innen würden eine Erinnerungskultur und Erinnerungsorte, „um den Opfern ein Gesicht zu geben“, so MdL Thomas Gehring, immer wichtiger. Er berichtete von seinen Erfahrungen im bayrischen Landtag, wo Parteimitglieder der AfD demonstrativ Gedenkveranstaltungen für die Opfer des Nationalsozialismus stören und genau ausloten, was noch sagbar ist, um die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.

Im Zuge eines vielerorts immer wieder aufflammenden Antisemitismus wurde von den Teilnehmenden nach einem sinnvollen Konzept für eine gelingende Erinnerungskultur gesucht. Journalist Wolfgang Braunschmidt, der einen persönlichen Bezug zu einem Juden, der in der Prügelstube misshandelt wurde, hatte, forderte eine stärkere Verpflichtung für die Schulen, den Holocaust und seine lokalen Ausprägungen zu thematisieren. Übereinstimmend mit Dr. Habel sieht er auf kommunaler Ebene noch große Verständnisprobleme bei einzelnen Parteien. Dies zeige sich zum Beispiel an dem Wunsch einiger Nachfahren von deportierten oder emigrierten Coburger Jüd*innen nach einem zentral aufgestellten Mahnmal, das an die Schicksale erinnern soll. Dabei sind sich alle Anwesenden einig, dass eine gelungene Erinnerungskultur nicht oktroyiert sein darf, sondern die jüdische Geschichte anhand von Einzelschicksalen nachvollziehbar macht, um eine Einfühlung zu ermöglichen. Neben der Thematisierung im Unterricht seien kreative Lösungen nötig, die vor allem auch den Jugendlichen das Thema auf geeignete Weise nahebringt. Allerdings könne man dann auch viel gewinnen: Einerseits kann es durch Recherche und sorgfältige Aufarbeitung von Quellen gelingen, Nachfahren von vertriebenen jüdischen Coburger*innen zu finden und ihnen Teile ihrer Familiengeschichte wiedergeben. Franziska Bartl vom Arbeitskreis Lebendige Erinnerungskultur schätzt an dieser Arbeit vor allem „die Perspektive, dass wir alle miteinander eine Zukunft haben.“ An die Stelle von Schuldzuweisungen könne so ein gefestiges demokratisches Verständnis treten, das aus der gemeinsamen, kritischen Erinnerung an diese undemokratische Zeit entstehe.

Dass der Weg dorthin noch weit ist, zeigt die oft noch mühsame Arbeit, Ausstellungen zu den Judenverfolgungen in Coburg auszurichten, etwa anlässlich des 80. Jahrestages der letzten Deportationszüge aus Coburg und Umgebung im Jahr 2022. Die vom Arbeitskreis in Eigenregie ausgearbeitete Ausstellung musste zunächst außerhalb Coburgs gezeigt werden, bis nach langem Drängen ein geeigneter Raum durch die Stadt zur Verfügung gestellt wurde. „Manche im Stadtrat halten Erinnerungskultur immer noch für lässlich“, so Wolfgang Braunschmidt. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Einstellung schnell ändert.

Petra Wöhner, Vorstandsprecherin, KV Coburg-Stadt

Startpunkt der Stadtführung von Dr. Hubertus Habel zur Erinnerungskultur war der jüdische Friedhof am Glockenberg.

Die St.-Nikolaus-Kapelle ist eine altkatholische Kirche in Coburg, Ketschendorfer Straße 30. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde sie von vier christlichen Konfessionen und der jüdischen Gemeinde als Gotteshaus genutzt.

Auch das heutige Hotel Victoria ist ein Haus, hinter dessen Mauern sich eine sehr bewegende jüdische Geschichte versteckt.

Die, in den Augen des Historikers Habel zu wenig sichtbare, Gedenktafel an die ehemalige Prügelstube, in der jüdische Mitbürger*innen brutal misshandelt wurden.

Auch die Frage, warum diese Gasse Judengasse heißt, wurde von Dr. Habel beantwortet.

Bei der abschließenden Grsprächsrunde waren neben Dr. Habel und Thomas Gehring, Grüner MdL und Vizepräsident des Bayrischen Landtags, Franziska Bartl und Gaby Schuller vom Arbeitskreis Lebendige Erinnerungskultur in Coburg sowie Wolfgang Braunschmidt zu Gast.

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