Leserbrief Rolf Hollering

Leserbrief unseres Vorstandssprechers als Entgegnung auf den Artikel in der Neuen Presse Coburg vom Montag, 10. Januar 2022 mit der Überschrift: „CSU sucht den Dialog“

Noch am Wochenende ist es mir in der Ketschengasse passiert: Ein nagelneuer Porsche Cayenne Diesel fährt mir entgegen, blütenweiß lackiert. Das Hochwertigste, was unsere Automobilindustrie zu bieten hat. Sein Abgas trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich reiße mir den Schal vor die Nase. Die neuen Dieselautos riechen noch giftiger als die alten. Und es ist überall das gleiche: Über die Frankenbrücke kann man nicht gehen, ohne mit Abgasen zugedampft zu werden, an der Schillerplatz- Kreuzung steht die Benzin- und Dieselluft. Wenn am Albertsplatz die für die Kurve dort viel zu großen Busse abbiegen, steigt die Temperatur der Luft und es riecht minutenlang nach öligem Bus. Von der Viktoriastraße ganz zu schweigen – ihre stickige Straßenschlucht meidet man als Fußgängerin oder Radfahrer am besten ganz.

Der Vorsitzende der CSU spricht sich nun gegen eine autofreie Innenstadt aus. Er sagt, er suche er den Dialog mit den Bürgerinnen. Das ist wichtig, denn er hat die „tatsächlichen Bedürfnisse“ zumindest eines Teils der Bevölkerung noch nicht verstanden: Vielleicht, weil ihm der persönliche Zugang fehlt. Das könnte sein, denn nur (aber immerhin!) 15 bis 20 Prozent der Menschen werden mit dem etwas sperrigen Begriff „hochsensibel“ beschrieben. Das Wort will uns sagen, dass manche empfindlicher für Umweltreize sind als andere. Das gibt es auch bei Tieren, der Nutzen könnte eine Art Schutzfunktion für Individuum und Gemeinschaft sein.

Die Wahrnehmungen unserer Umwelt unterscheiden sich stark: Meine eigene Mutter riecht das Dieselabgas gar nicht, sie kann auch kein Benzinabgas von einem Zweitakter-Abgas unterscheiden. Sie ist nicht empfindlich für störende Geräusche und ihr Magen verträgt alles, wo mein Körper längst „stopp“ signalisiert. Diese Unterschiede gibt es zwischen uns Menschen und sie sind schwierig zu vermitteln. Denn wahrscheinlich können 80 bis 85 Prozent der Menschen die Sorgen der verbleibenden Minderheit nicht nachempfinden, weil ihnen dafür die Sinne fehlen.

Zu den Errungenschaften unserer Gesellschaft gehört es, dass wir auf Minderheiten gut Acht geben und Rücksicht üben. Darum sollten Autos aus unserer Innenstadt fernbleiben. Zum Schutz derer, die unter ihrem Abgasgestank leiden. Und zum Schutz all derer, die ihm arglos ausgesetzt sind: Das Abgas ist ja auch schlecht für die, die es nicht riechen, denn umso unbedarfter atmen sie es. Hinzukommt, dass die Ketschengasse das beste Beispiel dafür ist, wie gefährlich das Aufeinandertreffen von zu Fuß Gehenden oder Rad Fahrenden mit Autos ist. Wer einmal mit dem Fahrrad die Ketschengasse stadtauswärts gefahren ist, weiß, wie schlecht und unsicher es sich anfühlt.

Es ist übrigens kein Zufall, dass fast alle Menschen Meran schön finden: In seiner charmanten Altstadt hat es „verkehrsbeschränkte Zonen“, in der nur „bestimmte Personengruppen zu bestimmten Zeiten“ mit einem motorisierten Fahrzeug fahren dürfen. Auch in Coburg werden Lebensqualität, Ambiente und Handel stark von einer autofreien Stadt profitieren.

Rolf Hollering

Veröffentlicht in Allgemein, aus dem Stadtrat, Klimaschutz, Stadtpolitik.